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Schöne neue Welt des Autohandels: Online-Sales, Abos und City-Stores

10 Mai, 2019

Der Kunde von heute wird nicht mehr der Kunde von morgen sein. Vorbei sind die Zeiten, in denen Interessenten

vier bis fünf Mal im Autohaus vorsprachen, bevor sie ihre Unterschrift unter den Kfz Kaufvertrag setzten. Heute schließen sie mit dem Verkäufer das Geschäft nach durchschnittlich 1,2 Besuchen ab – oder auch nicht. Das veränderte Kundenverhalten stellt den Automobilhandel vor enorme Herausforderungen. Auch Onlineversandhändler Amazon lässt grüßen.

Mit Fahrzeugen im Abonnement, City-Stores oder virtuellen Probefahrten buhlt der Handel um die Gunst von König Kunde, der dank Internet immer besser informiert ist, sich mit dem Auto zunehmend kritisch auseinandersetzt und sich im Showroom nicht länger langweilen möchte. 25 Jahre nach der Gründung von Amazon hat der Autohandel zwar noch immer keine einheitliche Digitalisierungsstrategie entwickelt, aber er weiß inzwischen, dass er die Augen vor der digitalen Realität nicht länger verschließen kann.

Burkhard Weller, Inhaber der Osnabrücker Wellergruppe, hat jedenfalls eine klare Vorstellung von der Zukunft: Der Kunde möchte sein neues Auto vom Sofa aus online konfigurieren, bestellen, finanzieren, leasen, zulassen und ausgeliefert bekommen, ohne dabei einmal zum Telefonhörer zu greifen. Er will auch nicht ins Autohaus fahren. Deshalb plant Weller, der mit den Marken Toyota, Lexus und Seat an zehn deutschen Standorten vertreten ist, in den nächsten fünf bis acht Jahren zwischen 20 und 25 Prozent seiner Neuwagen online zu verkaufen. Vor 20 Jahren habe man mit dem Online-Gebrauchtwagenhandel auch bei null angefangen. Heute gehen bei Weller 90 Prozent aller Gebrauchtwagen über die virtuelle Ladentheke.

Auch riesige Ausstellungsräume, wie sie in der Vergangenheit gebaut wurden, sind nach Wellers Überzeugung out – schon allein deshalb, weil sie nicht mehr zu finanzieren seien. Stattdessen favorisiert er voll digitalisierte City-Stores auf kleiner Fläche, weil dort die Kunden sind.
Im Hanauer Einkaufszentrum ist der virtuelle City-Store bereits Realität. Dort steht kein einziges Auto. Vielmehr tauchen die Besucher auf 60 Quadratmetern mithilfe von stationären und mobilen Virtual-Reality-Systemen in die Ford-Modellwelt der Hessengarage ein, konfigurieren Fahrzeuge und starten zur digitalen Probefahrt. Die technische Basis stammt nicht vom Hersteller, sondern von der Agentur Autoactiva, die den Store gemeinsam mit der Hessengarage betreibt.

„Unsere Zielgruppe sind experimentierfreudige und digital affine Kaufinteressenten, die nicht mehr bereit sind, in ein Gewerbegebiet zu fahren“, betonte Autoactiva-Inhaber und Geschäftsführer Leonard Paul auf den Autovertriebstagen 2019 des Branchenmagazins „kfz-betrieb“ jetzt in Würzburg. Sie seien die Kunden von morgen. Deshalb entdecken auch andere Anbieter die verlockenden Chancen von Extended Virtual Reality Stores auf kleinster Fläche in zentraler Innenstadtlage oder in Malls, von denen es in Deutschland fast 500 mit bis zu 100.000 Besuchern täglich gibt.

Auch Dr. Carsten Oder, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Mercedes-Benz Vertriebs Deutschland, ist davon überzeugt, dass sich der Handel die Frage stellen muss, ob die bisherigen Betriebsgrößen noch zeitgemäß sind und ob sich diese zukünftig noch amortisieren lassen. Deshalb verabschiedeten sich auch „manche Automobilhersteller“ davon, von ihren Händlern die klassischen Autohäuser mit großen Ausstellungsflächen zu fordern. Mit seiner neuen Markenarchitektur MAR 2020 setzt auch Mercedes-Benz auf die Digitalisierung seiner Vertriebsstützpunkte.

„Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, prophezeit Oder. So wird im MAR die gesamte Fahrzeugpalette digital erlebbar gemacht. Physisch vor Ort vorhanden sind nur noch ausgewählte Produkte. Trotzdem zweifeln die Stuttgarter nicht an der Zukunft des Autohauses. „Die überwiegende Mehrheit unserer Kunden wird auch in Zukunft wertschätzen, individuell und zuvorkommend betreut zu werden“, betonte Oder in Würzburg. „Der physische Retail ist nicht tot. Aber der langweilige Retail ist tot. Es sind die Erlebnisse, die Menschen veranlassen, irgendwo hin zu gehen. Das gilt auch für den Autohandel.“

Holger Santel, Vertriebs- und Marketingchef der Marke Volkswagen in Deutschland, hat das Ziel, den Autokauf dank Digitalisierung so einfach zu machen wie Pizzabestellen. Trotzdem will Volkswagen den örtlichen Handel nicht missen. Zwar können Kunden die Sonderedition des neuen Elektro-VW ID 3 schon heute und damit deutlich vor der Weltpremiere auf der IAA im Herbst online vorbuchen, der Verkauf bleibt aber dem Handel vorbehalten. „Gerade im Hinblick auf die erklärungsbedürftige Elektromobilität können Händler im persönlichen Kontakt das Vertrauen der Kunden gewinnen“, ist sich Jürgen Stackmann, Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen, überzeugt.

Neue Handelswege beschreiten auch Volvo und die Würzburger Autohausgruppe Spindler. Sie bieten ihren Kunden Autos im Abo an. Digital versteht sich. „Denn der Kunde will es einfach, bequem und schnell“, sagt Thomas Bauch, Geschäftsführer von Volvo Car Germany, und ergänzt: „Wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil es am Markt immer mehr Disruptoren wie Uber im Taxigeschäft gibt, deren Ziel es ist, bestehende Geschäftsmodelle zu knacken.“

Weltweit will der schwedische Hersteller bis 2025 die Hälfte seiner Neufahrzeuge über sein digitales Rundum-sorglos-Abomodell „Care-by-Volvo“ vermarkten. In Deutschland können Volvo-Kunden seit einigen Monaten alle Modellreihen für einen flexiblen Zeitraum über eine App abonnieren. Die Rate: je nach Modell ab knapp 500 Euro im Monat. Darin enthalten sind neben dem Fahrzeug sämtliche Betriebskosten außer dem Sprit. Volvo zählt damit zu den ersten Premiumherstellern, die ein marktübergreifendes digitales All-Inclusive-Abo für Privat- und Gewerbekunden anbieten.

Das Stuttgarter Start-up Vive la Car ist vom Auto-Abo als Absatzkanal der Zukunft überzeugt, weil bereits heute 46 Prozent aller Kunden Abo-Modelle für Produkte und Services nutzen. „Zudem versetzt das Auto-Abo den Handel in die Lage, seinen Gebrauchtwagenbestand zu mobilisieren“, betonte Florine von Caprivi, Chief Sales Officer bei Vive la Car, auf den kfz-betrieb-Autovertriebstagen. Vive la Car stellt die Fahrzeuge markengebundener Händler ins Netz und übernimmt die komplette Abwicklung des Abos bis hin zur Kundenhotline. Ein Großteil der Prozesse ist automatisiert.

Mit dem Abo-Modell will die Spindler Gruppe, die die Marken VW, VW Nutzfahrzeuge, Audi, Porsche und Skoda an zehn Standorten vertreibt, Bestandskunden in Zeiten des Umbruchs bei der Stange halten und neue Kunden gewinnen. „Mit dem neuen System können wir aber auch die Langsteher im Gebrauchtwagenpark mobilisieren“, betonte Teamleiter Markus Guthan. Über die Plattform des Rottendorfer Start-ups Faaren bietet Spindler den Onlinenutzern Abo-Pakete mit Mindestlaufzeiten zwischen einem und sechs Monaten an. Ähnlich wie bei Autobauer Volvo sind im Preis die Fahrzeuge mit vereinbarter Laufleistung, Steuer, Zulassungsgebühren, Versicherung, Wartungs-, Instandhaltungs- und Verschleißreparaturkosten sowie saisonale Bereifung enthalten. Die Monatsrate beginnt bei etwa 400 Euro.

Nach Überzeugung von Dr. Carsten Oder werden die Investitionen in die Digitalisierung des Geschäfts über nicht Weniger als das Wohl und Wehe des Autohandels entscheiden. Das klingt ein wenig nach Bespaßung der Automotive Community, und ist es wohl auch. Teuer wird der Handel 5.0 für die Betriebe auf jeden Fall, und er wird zu weiteren Zusammenschlüssen und Konsolidierungen im Kfz-Gewerbe führen. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland etwa 15.200 fabrikatsgebundene Autohäuser – circa 1.080 weniger als im Jahr zuvor. ampnet/rs

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